Bei fehlerhafter Ausschreibung unbedingt warnen

Ein Artikel von Dr. Bernd Haintz | 19.10.2020 - 10:41
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Dr. Bernd Haintz © Wirtschaftskammer Steiermark

Die Prüf- und Warnpflicht des Auftragnehmers entspringt einer Nebenverpflichtung aus einem zwischen zwei Partnern abgeschlossenen Werk- bzw. Bauvertrag. Sowohl im Gesetz als auch der ÖNORM ist geregelt, dass beigestellte „Stoffe“, Beiträge oder Anweisungen auf ihre offensichtliche Tauglichkeit hin zu überprüfen sind. Befindet sich jedoch ein Projekt bzw. Bauvorhaben in der Ausschreibungsphase, gibt es zwar noch keinen Vertrag und auch keinen Auftragnehmer, unter Umständen aber sehr wohl bereits mangelhafte Texte, Pläne etc. Dennoch ist Vorsicht angesagt.

In einer Gerichtsentscheidung – zwar im Zusammenhang mit dem Bundesvergabegesetz, also bei einem öffentlichen Auftrag, aber dennoch auch für sonstige Fälle interessant – wurde hier klar festgehalten: „Die Ausschreibung muss so gestaltet sein, dass die Vergleichbarkeit der Angebote sichergestellt ist (Vergleichbarkeitsgebot). Die Ausschreibungsunterlagen haben daher alle für die Berechnung des Angebots wesentlichen Parameter zu enthalten. Aus den Unterlagen müssen die Kriterien, die zur Entscheidung führen, für die Bieter klar ersichtlich sein.“ Was nun, wenn dies nicht Fall ist und etwa eine Angabe oder ein anderer Bestandteil im Leistungsverzeichnis offensichtlich falsch ist oder fehlt? Dann meint das Höchstgericht, dass eine Warnpflicht als vorvertragliche Sorgfaltspflicht besteht. Konkret: „Die Warnpflicht des Unternehmers […] besteht grundsätzlich auch gegenüber einem sachkundigen Besteller. Sie ist eine werkvertragliche Nebenpflicht, die auch bereits im vorvertraglichen Stadium bestehen kann.“

Verletzung der Warnpflicht

Der Oberste Gerichtshof bezieht sich dabei auch auf ein älteres Urteil. Er meint dazu: Gerade dieser Zweck [die Gleichbehandlung aller Bieter, Anm.] würde unterlaufen, wenn ein Bieter mit einem Angebot Bestbieter wird, obwohl er schon vorhat, nach Erhalt des Auftrags ein Nachtragsangebot für von Anfang an unvermeidlich notwendige Arbeiten zu legen. Durch das so geringer gehaltene Angebot verschafft er sich im Ausschreibungsverfahren einen Vorteil. Auch dies stellt einen Fall der […] Verletzung der Warnpflicht […] dar.“

Die Folge: Man verliert nach Zuschlagserteilung den (teilweisen) Anspruch auf Mehrkosten und wird zusätzlich schadenersatzpflichtig. Das war auch in dem Urteil aus 2006 der Fall, das der OGH erwähnte. Dort wurde 13(!) Tage nach Zuschlag ein Nachtragsvoranschlag gelegt. Es ging in der Ausschreibung um Spundbohle als Baugrubensicherung. Deren Vorhaltezeit – also das Belassen an Ort und Stelle nach dem Einbringen – war gar nicht bzw. viel zu kurz vorgegeben. Das ausführende Tiefbauunternehmen hatte dies bereits bei der Angebotserstellung erkannt. Beweis dafür war ein vom Bauunternehmen vor Beauftragung eingeholter Kostenvoranschlag von dritter Seite für diese Bohle. Die Richter sprachen daher von „vorsätzlichem Verschweigen“ und „geradezu arglistigem“ Verhalten, das erforderliche Nachtragsangebot so lange zurückzuhalten, bis der Auftrag erteilt worden ist. Das Unternehmen, das dann explodierende Mietkosten für die Bohle im Anschluss verrechnet hatte, blieb aber schließlich auf diesen Mehrkosten sitzen. Dass das klagende Unternehmen selbst sich auf einen Irrtum berief, galt als nicht glaubhaft. Seine Ansprüche darauf zu stützen scheiterte schon deshalb, weil man sich laut Höchstrichter nicht geirrt hatte, sondern von Anfang an wusste, dass das Vorhalten der Spundbohle nicht in der Leistungsbeschreibung enthalten war.

Generell kann Folgendes gesagt werden: Ob offensichtliche Fehler unter all den widrigen Bedingungen, die bei Ausfüllen eines Angebotes vorliegen, zu erkennen sind, muss im Einzelfall geprüft werden. Richterlich anerkannt wird, dass im vorvertraglichen Stadium weniger genau zu prüfen ist und damit auch weniger „auffallen muss“, wenn noch kein Vertrag zustande gekommen ist. Dies gilt auch unter dem Gesichtspunkt, dass der Bieter die Ausschreibung als Grundlage seiner Kalkulation heranzieht und noch nicht als Ausführungsplan.