Zwischen Wut, Mut und Zuversicht

Ein Artikel von Nina Beck | 03.06.2025 - 09:22
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© Jenny Haimerl

Die Wut wächst. Über Abrisspraktiken, die aus Bequemlichkeit und wirtschaftlichem Kalkül Geschichten auslöschen. Über den sorglosen Umgang mit grauer Energie, über Räume, die Geschichten tragen, und Materialien, die noch lange nicht am Ende sind. Warum erscheint es immer noch einfacher, zu zerstören statt zu erhalten? Warum fällt es uns so schwer, der gebauten Vergangenheit mit Respekt zu begegnen?

Gleichzeitig wächst die Zuversicht. Dass ein neuer Umgang möglich ist. Dass aus Imperfektion Charakter erwächst. Dass wir eine Sprache für das Weiterbauen finden – sensibel, nachhaltig, mutig. Bestandsarchitektur ist kein Relikt, sie ist ein Versprechen auf eine Zukunft, die nicht auf Vergessen, sondern auf Weiterdenken basiert.

Das Problem liegt nicht im technischen Know-how. Es ist unser Umgang mit Zeit, mit Komplexität, mit Wert. Der Bestand fordert uns heraus: Er ist langsam, widerspenstig, nie ganz planbar. Aber genau darin liegt seine Stärke. Wer im Bestand arbeitet, arbeitet nicht gegen, sondern mit dem, was bereits existiert – und schafft daraus etwas radikal Neues. Was ist wirklich „unwirtschaftlich“? Der Erhalt eines Gebäudes oder sein Abriss, wenn man alle ökologischen, sozialen und kulturellen Kosten ehrlich mitrechnet? Wer entscheidet, wann sich etwas „lohnt“? Und was bedeutet „lohnend“ überhaupt?

Der Bestand zwingt uns, Fragen zu stellen, die das System oft scheut. Und genau deshalb ist er so wichtig. Nicht nur als Ressource, sondern als Haltung. Als Widerstand gegen die Kurzfristigkeit und als Chance, Architektur nicht nur neu zu denken, sondern anders: verantwortungsvoller, vielschichtiger, lebendiger. Wir stehen an einem Wendepunkt. Die Spielregeln ändern sich. Jetzt ist der Moment, aktiv mitzugestalten. Nicht nur mit neuen Entwürfen, sondern mit neuen Maßstäben – mit Mut, mit Haltung und der Zuversicht, dass es sich lohnt, nicht einfach weiterzumachen wie bisher.