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Holzrahmen, Roboter, Arbeiter © NCCR Digital Fabrication / Roman Keller

Helfende Greifarme

Ein Artikel von Birgit Gruber | 09.07.2019 - 10:00

Im Rahmen des Nationalen Forschungsschwerpunktes (NFS) Digitale Fabrikation haben Forscher der Professuren für Architektur und Digitale Fabrikation der ETH Zürich gemeinsam mit Partnern aus der Industrie ein neues digitales Holzbauverfahren entwickelt. Es erweitert die Möglichkeiten der traditionellen Holzrahmenbauweise, indem es geometrisch komplexe Holzmodule effizient erzeugt. Das Verfahren wurde erstmals beim sogenannten DFAB House (DFAB steht für digitale Fabrikation) eingesetzt. Dabei handelt es sich um eine dreigeschossige Wohneinheit mit rund 200m2, die weitgehend anhand digitaler Prozesse entworfen, geplant und errichtet wurde. Der mit einer Membranfassade eingedeckte Holzbaukubus ziert das Dach des Forschungs- und Innovationsgebäudes NEST auf dem Gelände der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) im schweizerischen Dübendorf.

Tanzende Roboter

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Die beiden kooperierenden Roboter arbeiten anhand des digitalen Modells präzise im Raum ohne zu kollidieren. © NCCR Digital Fabrication / Roman Keller

Im Hightechlabor der Universität wurden jüngst die einzelnen Schritte zur Herstellung der Bauteile einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Der Prozess wird als Spatial Timber Assemblies bezeichnet. Für Laien sieht es so aus, als würden Roboterarme durch die Werkshalle tanzen – leise und bedacht, nicht hektisch. Diese sind an einem mobilen Krangerüst unter der Hallendecke montiert. Ähnliche Modelle finden sich in der Automobilindustrie. Das System verfügt über 40 Elektromotoren und kann sich um insgesamt 34 Achsen drehen. Einer der Greifarme fährt hinunter zu einem Arbeitstisch und holt sich einen dort bereitliegenden Balken aus Fichtenholz. Er hebt das Werkstück an und hält dann einen Moment inne, damit der Algorithmus seine Position innerhalb des Raumes berechnen kann. Dann führt er den Balken zu einer CNC-Säge, die ihn oben und unten mit unterschiedlichen Winkeln absägt. Der Roboterarm transportiert das Holz weiter durch die Halle und dreht es von der Waagrechten in die Senkrechte. Er stoppt ein weiteres Mal zur Lagekontrolle und Neuberechnung seines Weges und fügt seine Last schließlich millimetergenau zwischen zwei Trägerbalken ein. Handwerker verschrauben die vorgebohrten Balken anschließend manuell. Dies ist der einzige Arbeitsschritt bei Spatial Timber Assemblies, der von Menschenhand verrichtet wird.

Maschine ersetzt Mensch nicht

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Im DFAB House überführte man sechs neuartige digitale Bauprozesse von der Forschung in eine architektonische Anwendung. © NCCR Digital Fabrication / Roman Keller

Da die Roboter programmiert werden müssen und deren Arbeit kontrolliert werden muss, wird man in Holzbaubetrieben weiterhin auf gut ausgebildetes Personal nicht verzichten können. Lediglich das Anforderungsprofil der Mitarbeiter wird sich verändern, wie Thomas Wehrle von Erne Holzbau mit Sitz in Laufenburg weiß. Das Unternehmen kooperiert eng mit der ETH Zürich und war als Generalplaner maßgeblich am Entstehungsprozess des DFAB House beteiligt. „Der Holzbau wird immer auf gute Handwerker angewiesen sein, denn nur gute Fachkräfte können die Arbeit einer Maschine definieren“, sagen die Forscher. „Zudem muss die ausgeführte Arbeit kontrolliert und um weitere Arbeitsschritte ergänzt werden, damit am Ende ein brauchbares Produkt entsteht. Darunter verstehe ich, dass es die Anforderungen an Dichtheit, Statik, Bauphysik usw. erfüllen kann. Elektroinstallationen und Sanitäranlagen werden wir auch in Zukunft von Hand in die Elemente einlegen müssen. Dazu benötigen wir ebenfalls gute Arbeitskräfte. Eine Automatisierung ist nur dann sinnvoll, wenn diese als Ergänzung zu den einzelnen Arbeitsschritten, die bis dahin von Hand erledigt werden mussten, dient.“ Laut Wehrle ist es sinnvoll, dass der Roboter jene Arbeiten übernimmt, die zu einer Monotonie am Arbeitsplatz führen. „Fließbandarbeit wird dann für den Handwerker überflüssig und er kann seinen Fokus auf die Qualität der Elemente legen.“

Nur noch Häuser vom Fließband?

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Die Köpfe hinter dem DFAB House: Prof. Matthias Kohler (re.) und Erne Holz Vize-Direktor Thomas Wehrle: „Der Holzbau wird immer auf Handwerker angewiesen sein, denn nur gute Fachkräfte können die Arbeit eines Roboters definieren.“ © kellenbergerkaminski.ch / Daniel Kellenberger / all rights reserved

Bei Spatial Timber Assemblies kann im Gegensatz zur traditionellen Holzrahmenbauweise auf Verstärkungsplatten zur Aussteifung verzichtet werden. Die erforderliche Steifigkeit und die Tragfähigkeit resultieren aus der geometrischen Anordnung. Das spart nicht nur Material, sondern eröffnet auch gestalterisch neue Möglichkeiten. Insgesamt sechs Holzmodule wurden auf diese Weise erstmals vorfabriziert. Hier stellt sich die Frage nach der Individualität. Macht die Roboterarbeit künftig aus jedem Holzbaubetrieb ein Fertigteilhausunternehmen? Wird der Markt bald von Systemhäusern mit Bausätzen á la Ikea überschwemmt? Wehrle winkt ab: „Ich denke, dass wir nach wie vor unser Eigenheim sehr persönlich gestalten wollen und damit auch eine hohe Flexibilität in der Planung, aber auch Vorfertigung garantieren müssen. Dies wird die große Herausforderung sein. Wir müssen die Digitalisierung in Kombination mit einer robotischen Vorfertigung so nutzen, dass am Ende immer noch die gestalterische Freiheit eines Gebäudes erhalten bleibt.“

„Den Anschluss nicht verlieren“

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Das DFAB House wurde mit einer halbtransparenten Membranfassade verkleidet, die das Holz sichtbar macht. Das verleiht dem Bau eine gewisse Leichtigkeit. © NCCR Digital Fabrication / Roman Keller

Spatial Timber Assemblies verspricht einen Mehrwert – es fabriziert, plant und entwirft digital. Das ist für Projektleiter Matthias Kohler, Professor für Architektur und Digitale Fabrikation an der ETH Zürich, ein entscheidender Vorteil: „Verändert sich etwas im Gesamtprojekt, kann das Computermodell laufend an die neuen Anforderungen angepasst werden. Diese integrierte digitale Bauweise überwindet die Distanz zwischen Entwurf, Planung und Ausführung.“ Die enge Zusammenarbeit mit Planern und Industriepartnern sei für ihn ausschlaggebend, dass Technologien nach so kurzer Zeit bereits in die Anwendung überführt werden können. Durch den Einsatz der künstlichen Intelligenz wird sich in einer ersten Phase der Aufwand für die Betriebe erhöhen. Erst wenn die digitalen Daten den Unternehmen nach und nach durch Fachplaner zur Verfügung gestellt werden, kann sich ein Nutzen einstellen. Thomas Wehrle dazu: „Ein ROI (Return of Investment) wird nur dann erzielt, wenn wir im Zuge der Digitalisierung den Anschluss nicht verlieren. Für Klein- und Mittelbetriebe wird es mittelfristig sicher noch genügend Nischen geben, um diesen Prozess verkraftbar mitgestalten zu können.“