Vorfertigung hat viele Gesichter

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 01.08.2019 - 11:53

Voraussetzung für den funktionierenden Vorfertigungsprozess und den späteren Bauablauf ist der Einbezug des Holzbauunternehmens in das Projekt von Anfang an. Das ist eine viel gehörte Forderung, die bisher aber nur in Einzelfällen praktiziert wird. Der Vorteil, der sich durch diesen frühzeitigen Einbezug ergeben würde, wäre doch immens: Nur so hat der Planer alle relevanten Informationen für die Ausführungsplanung zur Verfügung. Dies klingt zwar selbstverständlich, dennoch passiert häufig das Gegenteil. „Der Erstkontakt zwischen dem Architekten und der ausführenden Firma geschieht nach konventionellem, von der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) geprägtem Verlauf nach der siebten von neun Leistungsphasen. Zu diesem Zeitpunkt hat der Architekt bereits 66% seiner Leistung erbracht“, weiß Manfred Stieglmeier, der eine Professur für Entwerfen und Holzbau an der TU München innehat und am 10. Europäischen Kongress EBH 2017 einen Vortrag zu diesem Thema gehalten hat.

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Eine frühzeitige Koordination von Architekten, Ingenieuren und Holzbauplanern erleichtert den Bauprozess maßgeblich.
© Buck Fotodesign

„Ohne die spezialisierte Holzbaukompetenz in der Planungsphase sind nur wenige Architekten, Tragwerksplaner, Haustechnik- und Brandschutzbüros in der Lage, die Belange der Baukonstruktion, Ökonomie und des Fertigungsprozesses so gut einzuschätzen, dass eine optimierte Planung entstehen könnte.“ Sein Wissen bezieht Stieglmeier unter anderem aus dem Forschungsprojekt „LeanWOOD“ der Technischen Universität  München, an dem er mitgearbeitet hat. Auf der Basis zahlreicher Interviews mit Vertretern aus der Praxis und Workshops mit Experten aus der Administration und der Wissenschaft wurden Hemmnisse identifiziert sowie die nationalen Rahmenbedingungen analysiert und verglichen. Die nationale Ausgangslage der beteiligten Partner in Bezug auf Baukultur und Baurecht ist sehr unterschiedlich. Es lässt Rückschlüsse auf die Schwierigkeiten, aber auch die Stärken des vorgefertigten Holzbaus entsprechend den jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen zu.

Beratung des Holzbauunternehmens empfohlen

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Olympiapark München: Die Realisierung der Gebäudekomplexe erfolgt in zwei Bauabschnitten bei laufendem Betrieb. Das funktioniert nur mit vorgefertigten Bauteilen. © Buck Fotodesign

Vorfertigung erfordert frühere Entscheidungen als beim konventionellen Bauen und lässt  keine  Korrekturen  vor  Ort  zu.  Änderungen  haben  mit  fortschreitendem  Planungsprozess wachsenden Einfluss auf Termine, Qualität und Kosten. Optimum wäre daher ein Planungsteam, das sich aus Architekten, Ingenieuren und Holzbauplanern zusammensetzt. „Vor allem Brand- und Schallschutz in Innenbauteilen, aber auch Feuchte- und  Wärmeschutz in der Hülle werden fast immer von Rohbau und Ausbau gemeinsam geleistet. Daher müssen auch alle Schichten zusammen konzipiert werden“, sagt Stieglmeier. Eine weitere Erkenntnis seinerseits: „Insbesondere an der Schnittstelle von Holzbaukon-
struktion, Brandschutz und Haustechnik kommt es regelmäßig zu Planungslücken und Missverständnissen wegen unklarer Zuständigkeiten.“ Die Forscher empfehlen daher: Bei privaten Bauvorhaben erweist sich eine Beratung auf Honorarbasis im frühen Planungsstadium von Bauherrn und Architekt durch den Holzbauer zur Findung des richtigen Holzbausystems als Grundlage für die Ausschreibung als sinnvoll. Bei öffentlichen  Vorhaben unterliegt  die  Vergabe  von Aufträgen dem Vergaberecht. Dieses sieht eine strikte Trennung zwischen Planung und Ausführung vor. Deshalb ist der frühzeitige Einbezug der Ausführenden hier nicht so simpel umzusetzen.

Bindeglied zwischen Planung und Ausführung

LeanWOOD empfiehlt aber generell: Der Holzbauingenieur als Bindeglied zwischen Planung und Ausführung könnte die notwendige Holzbaukompetenz zum erforderlich frühen Zeitpunkt in der Vor- und Entwurfsplanung entweder als honorierter Berater oder Planungsingenieur mit eigenem Leistungsanteil einbringen. In der Schweiz hat sich das Berufsbild des Holzbauingenieurs bereits etabliert. Daneben bietet er die Beratung zu Brandschutz und Bauphysik an, bündelt so wichtige Fachplanungsleistungen und verringert den Koordinationsaufwand der Architekten. Das Ergebnis ist letztlich wie ein Werkzeugkoffer zu sehen, der Werkzeuge für unterschiedliche Konstellationen im Planungsprozess anbietet und versteht sich als eine Art Entscheidungshilfe für Planer, öffentliche und private Bauherren sowie Unternehmer um den vorgefertigten Holzbau wettbewerbsfähiger zu machen und für eine breite Akzeptanz zu sorgen.

Botschaft für Kinder in Berlin

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Bei der „Botschaft für Kinder“ realisierte man sowohl die Fassade als auch die vorgefertigten Wandelemente für die oberen vier der insgesamt sechs Stockwerke. © Marc Winkel-Blackmore

Mit der „Botschaft für Kinder“ entstand in Berlin-Moabit unweit des Hauptbahnhofs ein Bildungs- und Begegnungszentrum des SOS-Kinderdorfs. Vorgefertigte Holz-Wandelemente charakterisieren die oberen vier der insgesamt sechs Stockwerke. Ludloff Ludloff Architekten entschieden sich, zusammen mit dem für die Tragwerksplanung verantwortlichen Ingenieurunternehmen ARUP bei dem Hybridbau für eine außergewöhnliche Gebäudehülle, die Rubner Holzbau realisiert hat. Die Fassaden der ersten beiden Etagen wurden aus 800 m2 Pfosten-Riegel-Fassaden in Fichten-Brettschichtholz realisiert, während für die oberen Stockwerke rund 1400 m2 vorgefertigte Wandelemente mit Robinien-Schalung verbaut wurden. Robinie gilt als härtestes und dauerhaftestes Holz Europas, die Wandelemente sind bis zu 3,90 mal 10,60 m groß. Mit einer textilen Membran bespannte Elemente stellen eine zweite Haut vor der hölzernen Hülle dar. Die teils verschiebbaren Membranelemente stehen im harmonischen Zusammenspiel mit der Verschalung aus Robinie.

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Die Fassade der ersten beiden Etagen besteht aus 800 m2 Pfosten-Riegel-Fassade in Brettschichtholz Fichte. © Marc Winkel-Blackmore

Grünes Zentrum Kaufbeuren

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„Grünes Zentrum Kaufbeuren“: Rubner Holzbau Augsburg verantwortete die Werk- und Montageplanung, die Optimierung des Tragwerks für Produktion und Aufbau, werkseitige Vorfertigung, den Transport und das Aufrichten der Baukörper einschließlich der Nebengebäude. © krall-photographie

Das „Grüne Zentrum“ im Allgäu besteht aus einem dreigeschossigen Verwaltungsbau und einem zweigeschossigen Baukörper, in dem die beiden Schulen untergebracht sind. Beide Gebäude sind im Erdgeschoss über einen Zwischenbau mit gemeinschaftlich genutzten Einrichtungen miteinander verbunden. Florian Nagler Architekten sind für den Entwurf des 2018 fertiggestellten Baus verantwortlich. Für eine größtmögliche Raumflexibilität wurden weitspannende Holz-Beton-Verbund-Decken gewählt. In die vorgefertigten Betonfertigteile waren im Werk bereits FT-Verbinder einbetoniert worden. Durch diese Hülsen konnten die Betonteile vor Ort mit den Brettschichtholzunterzügen kraftschlüssig verschraubt werden. Die weitere Aussteifung übernehmen Brettsperrholzwände im Gebäudeinneren. Die oberste Geschossdecke wurde für den großformatigen Elementbau angepasst und bildet den Abschluss zum darüber liegenden Kaltdach.

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© krall-photographie

Olympiapark München

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Der neue Sportcampus im Olympiapark München bietet Platz für Aktivitäten jeglicher Art. © Dietrich | Untertrifaller Architekten ZT

Eine der wohl größten Holzbaustellen Europas findet man derzeit in München. Ende Mai fand die Gleichenfeier für das neue Areal rund um den Münchener Olympiapark statt. Für die Technische Universität München realisiert das Land Bayern den Rück- und Neubau der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften mit 14 Sporthallen, zwölf Hörsälen, 15 Laboren, fünf Werkstätten und 300 Büros. Im Zuge des ersten Projektabschnittes verantwortet Rubner Holzbau knapp 15.000 m² Dachkonstruktion, 7400 m² Wandelemente aus 1370 m³ Brettschicht- und Brettsperrholz. Anhand dieses Beispiels sieht man den Vorteil der Vorfertigung für solche Großprojekte. Auf einer Länge von rund 150 m wird mit 40 Elementen die 100-Meter-Laufbahn großzügig überdacht. Die 28 m langen und 1,60 m hohen Dachelemente haben eine freie Auskragung von 18,3 m. Die Bauteile werden im Werk Ober-Grafendorf montagefertig vorgefertigt und per Lkw zur Baustelle gebracht.

Man sieht also – egal, ob Fassadengestaltung, großvolumiger Gewerbebau oder gigantisches Universitätsprojekt: Die Vorfertigung im Holzbau hat für beinahe jede Bauaufgabe eine Antwort. Man muss nur fragen.