Holz-Beton-Verbund: nicht neu, aber innovativ

Ein Artikel von Stefan Leitner | 04.01.2021 - 15:48
HBV_2_ACRuAliceSchnuer-Wala.jpg

Die ACR-Präsidentin Iris Filzwieser (l.) überreicht den Innovationspreis an Projektleiterin Sylvia Polleres. © ACR / Alice Schnür-Wala

Neu sind Konstruktionen, bei denen Holz und Beton schubfest miteinander verbunden werden, nicht. Erste Untersuchungen mit ingenieurmäßigen Methoden und Patentanmeldungen erfolgten bereits vor etwa 100 Jahren. Getrieben wurden die Entwicklungen damals vom Mangel an Bewehrungsstahl. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges keimte das Interesse erst in den 80er- und 90er-Jahren wieder auf und ist seither ungebrochen. Auch heute geht es um Einsparung von Beton und Stahl, allerdings aus eher ökologischen Gründen und zur Kostenoptimierung. So konnten die Holzforschung Austria (HFA) und die Zimmerei Longin in einer Kooperation Ende 2020 mit ihrer ökologischen Lösung ganz ohne Stahlbewehrung und Klebefugen den begehrten ACR-Innovationspreis gewinnen.

Die Qual der Wahl

Die Systemübersicht gibt einen Überblick über gängige Holz-Beton-Verbundsysteme. In der Praxis werden die dargestellten Grundformen zudem häufig gemischt.  Bei dieser Vielfalt fällt die Wahl der Konstruktion schwer. An der TU Graz wurden in einer Diplomarbeit Experten zu ihrer Meinung zu den verschiedenen Systemen befragt. Während Rippendecken ein besonders großes, vermutlich wirtschaftliches Potenzial beigemessen wurde, schätzten die Experten vor allem die bauphysikalischen Vorteile von flächigen Brettstapeldecken. Als Verbindungsart schnitt die Kerve in der Befragung besonders gut ab. Ein kalkulatorischer Vergleich gab den Experten recht und ließ zudem geringere Kosten für das Vorbereiten der Verbindung im Werk und das Betonieren auf der Baustelle vermuten. Fertigteile bieten Vorteile im Bauablauf und entsprechen der trockenen und schnellen Holzbauweise.

Systemübersicht

HBV_Pikto_1_SL.jpg

© Stefan Leitner

HBV_Pikto_2_SL.jpg

© Stefan Leitner

HBV_Pikto_3_SL.jpg

© Stefan Leitner

Tipps vom Experten

Ein Holzbauingenieur, der als Experte für Holz-Beton-Verbundkonstruktionen gilt und auf eine langjährige Erfahrung zurückblicken kann, ist der Schweizer Pirmin Jung. Am Internationalen Holzbauforum gab er folgende Empfehlungen:

  • Die konstruktive Durchbildung von HBV-Konstruktionen steht über der Berechnung.
  • Flächige Brettstapel-HBV-Decken sind wirtschaftlich sinnvoll bis ca. 8 m.
  • Rippendecken kommen bei großen Spannweiten zum Zug oder wenn die Betonschicht als Speichermasse zur Erfüllung des sommerlichen Wärmeschutzes erforderlich ist.
  • Bei tieffrequenten Schallschutzanforderungen werden min. 12 cm Überbeton empfohlen.
  • Auf Gebrauchstauglichkeit bemessene Holz-Beton-Verbunddecken sind meist nur zu einem Drittel ihrer Tragfähigkeit ausgelastet.
  • Die baupraktischen Materialeigenschaften von Holz und Beton (E-Modul, Kriechen, Schwinden
    etc.) haben oft eine größere Auswirkung auf die Gesamtperformance als die Steifigkeit des Schubverbundes.

Klebeverbund

HBV_1_UniKasselJensFrohnmueller.jpg

Das Fraunhoferinstitut WKI entwickelte zusammen mit mehreren Partnern eine neue Schnellklebetechnik für den Holz-Beton-Verbund. © Universität Kassel / Jens Frohnmüller

Keine marktreife Lösung und kein Berechnungsmodell gibt es noch für den Klebeverbund. Vielversprechend wäre diese Technologie allemal, denn eine Verklebung würde es ermöglichen, Beton- und Brettsperrholzplatten ohne weiteren Zwischenschritt im Werk zu verbinden. Die HFA schloss erst 2019 ein umfassendes Forschungsprojekt zu dieser Fügetechnik ab. Die durchgeführten Versuche waren vielversprechend. Die Kosten einer Verklebung dürften über jenen der Verbindungsart Kerve, aber unter den Schraubverbindungen liegen. Forschungsbedarf gibt es aber noch reichlich: nicht nur Holz, sondern auch die geprüften Klebstoffe wiesen ein zeitabhängiges Materialverhalten auf, insbesondere beim sogenannten Kriechen, der Dehnung unter konstanter Last. Das Fraunhofer-Institut WKI veröffentlichte kürzlich gemeinsam mit der TU Braunschweig und der Universität Kassel neue Erkenntnisse zu dem Thema Verklebung von Holz und Beton: Sie entwickelten eine neue Schnellklebetechnik, die auch auf schlagglatten Betonoberflächen angewandt werden kann. Bisher vermutete man, dass die Betonoberflächen sandgestrahlt werden müssten. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass auf Trennmittel verzichtet wird.

Holz-Beton-Verbund wird anerkannte Regel der Technik

Demnächst soll eine sogenannte Technical Specification für die Bemessung von Holz-Beton-Verbundkonstruktionen herausgegeben werden. Holz-Beton-Verbundkonstruktionen werden auch im
derzeit in Ausarbeitung befindlichen neuen Eurocode 5 in einem eigenen Teil berücksichtigt werden. Damit wird diese Bauweise schon bald vom Experimentierfeld von wenigen Spezialisten und Experten zunehmend in Richtung anerkannte Regel der Technik rücken und zu einer häufigeren Anwendung finden.