WOODstock-Plattensee_01.jpg

Das Festivalgelände inmitten der ungarischen Tiefebene © Tamas Bujnovszky

Das WOODstock vom Plattensee

Ein Artikel von Birgit Gruber | 18.07.2019 - 12:15
WOODstock-Plattensee_27.jpg

Nach der Arbeit kommt die Party – das Festivalgelände wird abends zum ausgelassenen Miteinander.
© Tamas Bujnovszky

Die Sonne scheint ununterbrochen, das Thermometer zeigt um die 30 Grad und man möchte am liebsten die ganze Zeit im Freien verbringen. Der Sommer steht – nach einigen Startschwierigkeiten – nun endlich vor der Tür und das kann nur eines bedeuten: Die Festival- und Open-Air-Saison hat begonnen. Mit Freunden tanzen und lachen, das eine oder andere Kaltgetränk genießen und dabei die Lieblingsmusik live hören. Überall auf der Welt beginnt mit den ersten Sonnenstrahlen das Festivalfieber. Inmitten der ungarischen Pampa, nahe des Plattensees, steht allerdings nicht die Musik, sondern der Baustoff Holz im Mittelpunkt eines Festivalgeschehens. „Hello Wood“ begann 2010 als Kunstcamp für Architektur- und Designstudenten und entwickelte sich zu einer einzigartigen, internationalen Sommeruniversität mit mehr als 70 teilnehmenden Universitäten aus 60 Ländern. Seit 2013 konzentriert sich die Veranstaltung auf die Planung und den Bau temporärer Holzprojekte.

Ein ganzes Festivaldorf entsteht

Anfang 2015 entstand daraus schließlich ein ganzes „tragbares” Dorf, das zu einem Pop-up-Event wurde und von Ort zu Ort zog. Erst 2016 wurden die Macher hinter der ursprünglichen Idee – selbst alle Architekten und Designer – mit dem Kauf eines zwei Hektar großen Areals in Csóromfölde sesshaft. Hunderte junge Architekten aus der ganzen Welt bauten ab diesem Zeitpunkt ihre eigenen Siedlungen. Gemeinsam schuf man einen ländlichen Campus für eine nomadische Fakultät. Der Rahmen war locker und verwischte die Grenzen zwischen Sommeruniversität und Festival, Stadt und Land, Kunst und Architektur, praktischen Lösungen und utopischen Idealen. „Es war anfangs ziemlich beängstigend, im Mittelpunkt der Handlung zu stehen. An einem Ort, wo es absolut nichts gab, und zu sagen: Lasst uns hier ein Dorf gründen“, erzählt Péter Pozsár, einer der Gründungsväter von „Hello Wood”.

Projekt I: Grand Cabin Club / Hello Wood

Teamleiter: Dávid Ráday, András Huszár, Nóra Fekete, Ádám Bajtai
Diese A-förmige und sehr geräumige Hütte versprüht den Charme traditioneller, tschechischer Berghütten. Die Erbauer wollten einen Platz schaffen, an dem sich viele Freunde versammeln können. Der Grand Cabin Club soll kein einsamer Zufluchtsort sein, sondern ein Ort im Wald, der sich perfekt für Brettspiele, Abendessen mit Freunden oder Hauspartys eignet. Die Kabine besteht aus vorgefertigten Holzpaneelen mit riesigen Glasfenstern, die mit zwei Schlafzimmern und einem großen Gemeinschaftsraum für eine Gruppe von 20 Personen oder acht Übernachtungsgäste gedacht ist. Schlaf- und Badezimmer befinden sich in der roten und blauen Box, die außerhalb der A-Form an der Kabine angebracht, jedoch von innen begehbar sind.

Die Architekten der Sommeruni standen vor einer enormen Herausforderung, obwohl die Frage, mit der sie konfrontiert wurden, scheinbar einfach war: Was würdest du zuerst auf einem leeren Grundstück bauen? 2017 erreichte dieser Projektabschnitt seine Endphase, in dem der Schwerpunkt auf der Siedlungsstruktur lag: Die Teilnehmer entwickelten einen Dorfkern, in dem Abendvorträge, Konzerte und neben dem gemeinsamen Essen auch Partys stattfinden. Das um Gemeinschaftshöfe herum angeordnete Wohngebiet ist mit dem Zentrum des Dorfes, das die Küche und Duschmöglichkeiten beherbergt, verbunden. Die Basisinfrastruktur enthält den eigenen Dorfbrunnen. Der Strom wird über Solarmodule bereitgestellt. Die Teilnehmer eines „Hello Wood“-Festivals bleiben etwas mehr als eine Woche innerhalb dieser Siedlungsstruktur, arbeiten und essen auf dem Gelände – bewusst abgeschnitten vom WLAN, um das Eintauchen in die Arbeit zu erleichtern. „Csóromfölde ist heute nicht mehr nur eine Baustelle, sondern wird jedes Jahr von seinen Bauherren bewohnt. Jahr für Jahr wird das Dorf um einige Kunstwerke erweitert“, ist Pozsár stolz.

Projekt II: Ziggurat Delivery / ZarCola

Teamleiter: Edoardo Giancola, Federico Zarattini
Das Designschema von ZarCola besteht aus zwei separaten, tragbaren, containergroßen Einheiten, die sich zu einer mehrstöckigen Kabine verbinden. Die Holzhütte ist mit Airium verkleidet, einem mineralischen Wärmedämmstoff, der an Schaumbeton erinnert. Das verglaste Erdgeschoss enthält eine Reihe von Annehmlichkeiten, wie Küche und Wohnbereich, welche die Interaktion mit der Natur fördern. Im Obergeschoss, das von Holzbalken getragen wird, bieten zwei Schlafzimmer einen kontrastreichen, abgeschlossenen, privaten Raum.

Gegen die Industrialisierung der Vorstellungskraft

„Ziel unserer Mission ist es, dass die Studenten im Rahmen des Camps praktische Erfahrungen sammeln, die den überwiegend theoretischen Unterricht an den Universitäten ergänzen“, erklärt Projektleiterin Kamilla Mihály. Gemeinsam will man die ursprüngliche Bedeutung des Bauens wiederfinden: „In einer Zeit, in der sich Architekten immer mehr von dem lösen, was sie entwerfen, haben wir die Kontrolle über die uns zur Verfügung stehenden Instrumente verloren. Schlimmer noch: Die Objekte, die wir entwerfen, kontrollieren uns jetzt, sie industrialisieren unsere Vorstellungskraft und standardisieren unsere Träume“, philosophiert Mihály.

Projekt III: Hello Wool (Woolhouse) / AU Workshop + Marton Low

Teamleiter: Lukács Szederkényi, Dénes Emil Ghyczy, Marton Low
Das Woolhouse ist eine esoterische Ein-Mann-Holzkabine, die mit Wolle verkleidet und isoliert ist. Sie erinnert an das Zimmer eines Psychotherapeuten und soll seine Insassen ermutigen, Fragen an sich selbst zu stellen und zu beantworten, sei es in Stille oder mit Gesang. Das Einzige, was die Hütte beinhaltet, ist ein matratzenähnliches Bett mit Polster. Die beiden Wollschichten bieten eine hervorragende Isolierung und schützen vor Kälte, während ein Schlitz im Zinndach und kleine Löcher in den umliegenden Holzpaneelen dafür sorgen, dass die Wärme aus dem Inneren abgeleitet wird. Achtung: Bei Platzangst sollte man diese Kabine besser nicht betreten.

„Hello Wood“ geht deshalb absichtlich zurück zu den Ursprüngen und macht aus kreativen Denkern handwerkliche Talente, die gemeinsam anpacken, hämmern, nageln, aufrichten und ein Objekt mit den eigenen Händen erschaffen. Das Material, das die Studenten für den Bau ihrer Installationen benötigen, wird von Bauunternehmen und Sponsoren gratis zur Verfügung gestellt. „Wir verwenden hauptsächlich Latten aus Kiefernholz, aber auch Sperrholz und OSB-Platten. Neben der Qualität legen wir viel Wert auf die Regionalität des Holzes“, so Mihály. Da Holz der Primärstoff ist, sind die Recyclingfähigkeit und nachhaltige Beschaffung recht einfache Prozesse. So werden zum Beispiel auch Installationen vorangegangener Festivals, die nicht zur Grundstruktur des Dorfes gehören und nicht mehr benötigt werden, einfach demontiert und das gewonnene Material wird für zukünftige Projekte wiederverwertet.

Projekt IV: vertical cabin / H3T architekti

Teamleiter: Karel Harazim, Tomáš Madro, Marek Barjak
Bei diesem Projekt wurden Räder an eine vertikale Installation angebracht, wodurch die Kabine tragbar wird. Der Benutzer kann sie so überall dort aufstellen, wo es ihm gerade gefällt. Die leichte Holzkonstruktion ermöglicht einen Ortswechsel per Menschenhand. Das A-förmige Dach muss aufgrund seines Gewichtes allerdings mittels eines Kran bewegt werden. Besonders an dieser Kabine ist, dass die Bauherren als Material ausschließlich alten Holzabfall verwendet haben, der von Teams aus den vorangegangenen Festivals zurückgelassen wurde. Da die gesamte Kabine auf dem Konzept der Mobilität basiert, musste dies auch bei der Inneneinrichtung berücksichtigt werden. So wurden die Möbel einfach an die Wände montiert.

Die Macher hinter dem Architekturfestival

Das Hello Wood-Studio selbst ist ein Architekturbüro mit Sitz in Budapest. Das Kollektiv aus Designern und Holzarbeitern hat das Konzept, das 2010 als Kunstcamp begann, zu einer globalen Designzentrale weiterentwickelt. Hello Wood-Architektur fungiert auch als pädagogische Plattform für den Austausch von Ideen und das Experimentieren im Bauwesen. Das Studio, das sich auf Holzhütten, Installationen und vollwertige Holzgebäude spezialisiert hat, nimmt sich einige Wochen im Jahr frei, um die Sommeruniversität zu organisieren. Eine ständig wachsende Legion von Bauherren, Designern und Handwerkern bildet ein Führungsteam, das sich der Leidenschaft für umweltbasiertes Arbeiten verschrieben hat. Nachhaltige Praktiken und hochwertiges Handwerk stehen im Vordergrund. Unterstützt wird das Team dabei von namhaften Stararchitekten, die den Studenten beratend zur Seite stehen und abendliche Gastvorträge gestalten. „Wir sind stolz darauf, dass wir bereits namhafte Größen, wie Javier Villar Ruisz von Kengo Kuma & Associates, Alfredo Brillembourg von Urban-Think Tank, Benedetta Tagliabue von EMBT oder Robert Kronenburg von der Universität Liverpool in unseren Reihen begrüßen konnten“, so Mihály.

Projekt V: Treehouse / frundgallina

Teamleiter: Pascal Deschenaux, Aziz Temel, Francesco Borghini
Das 12,5 m hohe Baumhaus nimmt eine minimalistische, nach innen geneigte Dreiecksform an, die durch Liebe zum Detail definiert ist. Die holzverkleidete Installation soll eine Art Leuchtturm für Reisende darstellen, da sie mit einer Dachbeleuchtung ausgestattet ist. Das Erdgeschoss ist ein zur Natur offener Raum. Die oberen Abschnitte des Hauses sind durch Holzlamellen abgeschlossen und über Hängeleitern erreichbar. Dort bieten Schlafräume, die vielmehr an Hängematten erinnern, Wärme, Ruhe und Entspannung.

Wie werde ich Teil des Teams?

Jedes Jahr, sobald das Motto feststeht, veröffentlichen die Organisatoren auf ihrer Website hellowoodfestival.com einen Aufruf an Architektur- und Designstudenten aus der ganzen Welt, ihre Projekte als Gruppenleiter einzureichen. Die Unterlagen müssen eine Konzeptbeschreibung, Konzeptzeichnungen, Skizzen und einen geschätzten Zeitpunkt der Realisierung umfassen. Wird der Vorschlag akzeptiert, steht einer Teilnahme am Festival – gegen die Zahlung einer Teilnahmegebühr von 450 € – nichts mehr im Wege.

Projekt VI: Cabin modules / iR arquitectura

Teamleiter: Fermin Indavere, Tommaso Polli
Das Schema der Kabinenmodule passt sich an die unterschiedlichen Bedürfnisse seiner Nutzer an und besteht aus separaten, tragbaren Elementen. Jedes dieser Holzmodule entspricht einem Raum, wie zum Beispiel der Küche, dem Schlafzimmer, einem Gemeinschafts- oder Abstellraum. Das System ist ein Passivhaus und wird mit Solarenergie betrieben, während eine Trombe-Wand die Wärme des Sonnenlichts aufnimmt, speichert und über Lüftungsöffnungen in den Wohnbereich einspeist. Der Gemeinschaftsbereich wird durch ein transparentes Polycarbonatdach abgedeckt, unter dem Pflanzen ähnlich wie in einem Gewächshaus kultiviert werden können.

Kabinenparty in der ungarischen Tiefebene

Beim Festival 2018 war der Umfang deutlich größer als in den Jahren zuvor, da es sich unter dem Motto „Cabin Fever“ um den Bau ganzer Kabinenprojekte handelte. Die Konstrukteure mussten für ihr Design wesentlich feinere Details und Materialanforderungen vorlegen. „Die Beteiligung der Studierenden am Designprozess variiert je nach Komplexität des Festivalthemas. Wichtig ist uns allerdings, dass sie maßgeblich am Entscheidungsprozess und Bau beteiligt sind“, erklärt Mihály. Als Ergebnis der einwöchigen Bemühungen wurde das ländliche Gebiet im Vorjahr zu einem hochmodernen Arbeiterdorf mit Hütten auf Rädern, Hütten auf Stelzen und mehrstöckigen Häusern. „Das Festival war den beweglichen Kleinhaustypologien gewidmet, die uns Stadtmenschen die Möglichkeit geben, für eine Weile dem Großstadtdschungel zu entfliehen“, weiß die Projektleiterin.

Projekt VII: I am a monument / Josep Garriga + OfficeShophouse

Teamleiter: Josep Garriga, Patxi Martin, Natalia Vera Vigaray
Diese Holzkabine auf Stelzen scheint in der Landschaft zu schweben. Das Erdgeschoss ist offen und fördert die Interaktion mit der Natur, während die oberen Stockwerke privat und geschützt sind. Das Konzept wurde nach dem Prinzip entwickelt, dass ein Gebäude nie fertiggestellt, sondern im Laufe der Zeit umgebaut und renoviert wird. Daher rührt auch der Name: „Ich bin ein Denkmal.“ An diesem Projekt wurde bereits bei mehreren Festivals gebaut. Im Rahmen der Sommeruniversität 2018 hat das Team das Obergeschoss mit Dach auf die vorhandenen Strukturen gesetzt.

Gespannt darf man in diesem Jahr auf die zehnte Jubiläumsausgabe von 15. bis 21. Juli unter dem Motto „Carnival“ sein. Die Erwartungen sind hoch, betrachtet man die sieben Beiträge des Vorjahres, wie sie den Text hier durchfließen. Apropos Jubiläum: „Das heurige Jahr bedeutet auch eine Art Umbruch. Wir schließen eine Dekade, blicken zurück und gleichzeitig nach vorne. Wir wollen noch mehr Menschen für unsere Projekte begeistern und unsere Community erweitern. 2020 haben wir ehrgeizige Ziele, indem wir weltweit eine Reihe von Veranstaltungen entwickeln, die auf zukünftige Herausforderungen reagieren. Außerdem soll das Alumni-Netzwerk erweitert und ein internationales Cluster, eine sogenannte Builders Society, aufgebaut werden. Die grundlegenden Schritte dieser Vision werden während der Summer School 2019 umgesetzt“, freut sich Mihály.