Drei hölzerne Muscheln

Ein Artikel von Birgit Gruber | 10.01.2022 - 10:18
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Taiyuan ist die Hauptstadt der chinesischen Provinz Shanxi und liegt auf 780 m Höhe am Fluss Fen He. Die Gegend ist heute ein wichtiger Industriestandort Nordchinas, vor allem was den Kohlebergbau sowie die Erzeugung von Edelstahl und Aluminium betrifft. Neben einer florierenden Wirtschaft soll die Erholung der Menschen nicht zu kurz kommen, weshalb das Land laut nationaler Gesundheitskommission immer häufiger auch umweltpolitische Akzente setzt: In der Nähe von Städten entstehen hochwertige Erholungsräume. Eine ausbalancierte Lebensweise gehöre in Asien nämlich zum guten Ton und sorge für ein langes und glückliches Leben, heißt es. Auf Hobbys und soziale Unternehmungen legt man im Reich der Mitte einen erstaunlich großen Wert. Jung und Alt treffen in den zahlreichen Teehäusern, Parks und auf der Straße zusammen. Das Leben findet großteils auf öffentlichen Plätzen statt.

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Unter der Holzgitterschale verbirgt sich jeweils eine eigene Klimazone. In der größten Kuppel darf sich der tropische Garten entfalten. Der zweite Pavillon bildet eine Wüstenumgebung nach. Die kleinste Kuppel beherbergt die Ausstellung von Wasserpflanzen. © CreatAR

„Großer Nachholbedarf an ökologischer Architektur“

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Das Wiener Büro DMAA Delugan Meissl Associated Architects hat eine Reihe an Aufträgen in China und kennt Kultur und Leute. In Europa ist DMAA für eckige, urbane Gebäudeskulpturen bekannt, in China planen die Kreativköpfe grüne Täler sowie Panda-Häuser, Teepavillons, Palmenhäuser und botanische Gärten. Wie kam der grüne Schwerpunkt zustande? „Der Nachholbedarf an ökologischer Architektur in China ist immens groß. Der Stellenwert urbaner Grünräume im Allgemeinen oder jener von botanischen Gärten im Speziellen ist dort ein anderer als in Europa. Derartige Anlagen sind Orte der Kommunikation, des Lernens und kollektiven Erlebens. Der Eindruck eines grünen Schwerpunkts mag daran liegen, dass unsere Projekte in China eigentlich immer in den Kontext großer Landschaftsparks eingebunden sind. Das Thema der Landschaft zieht sich aber wie ein roter Faden durch unser Werk und lässt sich nicht ausschließlich auf den Aspekt der Natur reduzieren. Für uns sind die gebauten Räume ein Spiegel der Umgebung, die mit der Architektur eine organische Verbindung eingeht“, erzählt China-Kenner und DMAA-Gründer Roman Delugan im Interview.

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Alle drei parabolischen Gitterschalen bestehen aus leichten, doppelt gekrümmten Brettschichtholz-Balken, die in zwei oder drei sich kreuzenden Schichten angeordnet sind. © CreatAR

Dimensionen, die beeindrucken

So entstand unter der Feder der Wiener Kreativschmiede über die letzten Jahre hinweg auf einem ehemaligen Kohleabbaugebiet nahe Taiyuan ein 182 ha großer Freizeitpark. Das Mammutprojekt steht aber nicht nur für das in China unverzichtbare Landschaftsgestaltungsmodell, sondern beinhaltet eine wichtige Gebäudeinfrastruktur, die für die Erforschung natürlicher Ökosysteme genutzt werden kann. Es beinhaltet neben riesigen Freiflächen ein skulpturales Eingangsgebäude mit Naturmuseum und Verwaltung, drei überdimensionale Gewächshäuser, ein Restaurant mit Teehaus sowie ein Bonsaimuseum. „Die Größenunterschiede beim Bauen zwischen China und Europa sind gewaltig. Das liegt aber schlicht und einfach an der Bevölkerungsdichte und am damit verbundenen Besucherandrang. Die öffentlichen Parks und Zoos in Shanghai oder Taiyuan haben wochentags rund 10.000 bis 20.000 Besucher pro Tag, an Wochenenden und Feiertagen sind 100.000 Besucher täglich keine Seltenheit. Diese Dimensionen muss man echt einmal erlebt haben“, weiß Delugan. Um gewaltige Dimensionen dreht sich auch alles beim Herzstück des neuen Areals: drei Gewächshäuser, die als weitspannende Holzgitterschalen mit einem Durchmesser von 43 bis 90 m und einer Höhe von 12 bis 30 m in Kuppelform realisiert wurden. Alle drei parabolischen Gitterschalen bestehen aus leichten, doppelt gekrümmten Brettschichtholz-Balken, die in zwei oder drei sich kreuzenden Schichten angeordnet sind. Sie werden von Betonringbalkenfundamenten getragen.

Taiyuan Botanical Garden Domes – technischer Ablauf

Drei unterschiedliche Klimazonen

Im Inneren verbirgt sich jeweils eine eigene Klimazone. In der größten Kuppel darf sich der tropische Garten entfalten. Der zweite Pavillon bildet eine Wüstenumgebung nach. Die kleinste Kuppel befindet sich am See des botanischen Gartens und beherbergt die Ausstellung von Wasserpflanzen. Der Bau der Gewächshäuser erforderte die Bündelung des technischen Knowhows in den Bereichen Energiekonzept, thermische Leistung, Statik und Verglasung sowie Montage und Logistik. „Durch die Zusammenarbeit aller Teammitglieder auf drei verschiedenen Kontinenten wurde in weniger als einem Jahr eine einzigartige Serie von weitgespannten Holzkonstruktionen an die Stadt Taiyuan geliefert, die eine wunderschöne, erstklassige Attraktion darstellt. Das Projekt betont Nachhaltigkeit als auch strukturelle Integrität“, weiß Projektleiter Lucas Epp vom zuständigen Holzbauunternehmen StructureCraft. Die Tragwerksplanung für die Holzfachwerkkuppeln wurde vom deutschen Bauingenieurunternehmen Bollinger + Grohmann durchgeführt.

Baustoff Holz aufgrund seiner vielen Vorteile gewählt

Den Baustoff Holz brachten die Planer in einem sehr frühen Projektstadium ins Spiel. „Die frühe Entscheidung von DMAA, bei diesem Projekt so viel Holz wie möglich zu verwenden, spielte nicht nur einer weitgehenden Vorfertigung und hohen Ausführungsqualität in die Hände, sondern eröffnete gleichzeitig eine Fülle von möglichen historischen Assoziationen“, erläutert Epp. Holz wurde für dieses Projekt zudem aufgrund seiner Anpassungsfähigkeit an die geometrischen Anforderungen, seiner inhärenten Feuerbeständigkeit, strukturellen Flexibilität, natürlichen Ästhetik und ökologischen Nachhaltigkeit ausgewählt. Von oben betrachtet ähneln die Holzkonstruktionen Venusmuscheln, wobei die Hauptträger auf einer Seite eng beieinander liegen und sich über die Oberfläche der Kuppeln verteilen. Dadurch entstehe eine strukturell unterschiedliche Lichtdurchlässigkeit, die den Sonnenertrag in den Gebäuden optimiert, heißt es. „Diese komplexe Anordnung bedeutet, dass jeder der 2381 Brettschichtholz-Balken mit 7 bis 8 m Länge ein Unikat ist, sodass computergestützte Generierung und digitale Fertigungstechniken für den Erfolg des Projekts von größter Bedeutung waren“, weiß Epp.

Algorithmus für Versandcontainer

Die Ausrichtung der Balken wurde laut Epp optimiert, um den Fräsaufwand zu begrenzen und dennoch die von den Projektarchitekten angestrebte doppelt gekrümmte Schalengeometrie zu erreichen. Die gebogenen Holzbalken musste man mithilfe eines Algorithmus in jener Reihenfolge in die Versandcontainer verpacken, in der man sie später für die Montage vor Ort in China benötigte. Das sparte Zeit und Geld. „Neben der Logistik gab es zahlreiche Herausforderungen, die mit einer nicht triangulierten Gitterschale verbunden sind, einschließlich des multimodalen Durchknickens. Dieses Problem wurde durch eine leichte Diagonalschicht aus fast unsichtbaren Stahlseilen und verstellbaren Knotenpunkten, die zur effizienten Spannung der Seile verwendet werden, gelöst“, erklären die kanadischen Holzbauprofis. Viele der wichtigen Festigkeits- und Steifigkeitsparameter wurden durch umfangreiche physikalische Tests bei StructureCraft in British Columbia bestätigt. 60.000 Schrauben waren für die Montage der Brettschichtholz-Träger notwendig. Am Übergang zum Boden sind diese mit einer Stahlkonstruktion verbunden, die an in Beton eingegossene Platten geschweißt wurde. Alle Träger nähern sich dem Boden in unterschiedlichen Winkeln, sodass jedes Stahlelement ein Unikat ist, das jedoch auf der Grundlage einer einfachen Reihe von parametrischen Regeln erstellt wurde.

Videoanamiation zum Verpacken der Holzelemente

Teehaus wie chinesischer Tempel

Auch das Restaurant beziehungsweise Teehaus am Areal wurde mit Holz errichtet. Es veranschaulicht dabei die Prinzipien der gestapelten und verschachtelten Trägerschichten, des Stufens und Skalierens durch Hinzufügen oder Entfernen von Schichten in Richtung Stützen oder Kanten sowie das Spiel mit Proportionen. Es wurde parallel zu den Kuppeln errichtet. „Wir arbeiteten eng mit Delugan Meissl zusammen, um zusätzlich zu den drei Kuppeln eine beeindruckende mehrschichtige Holzgitterstruktur für das Dach des Teehauses zu entwerfen und zu bauen“, berichtet Epp. Es verdichtet sich von drei Brettschichtholz-Schichten am Dachrand auf neun Schichten am dramatischen, zentralen Lichtschacht. Das Gitter, das sich daraus ergibt, überspannt bis zu 25 m. Das gesamte Dach wird von einer Reihe dünner Stahlsäulen getragen, die den Eindruck erwecken, als würde es schweben. „Das Restaurant wurde in Anlehnung an die traditionellen chinesischen Tempel entworfen, wobei die Holzstrukturen als Designgrundlage dienten. Nach einigen Studien, in denen versucht wurde, die Struktur auf eine zeitgemäße und vernünftige Grundlage zu stellen, wurde ein verschobenes Gitter aus gestapelten Brettschichtholz-Elementen als Haupttragkonstruktion eines sehr attraktiven und atmosphärischen Raums festgelegt. Auf der einen Seite in die Landschaft eingebettet, löst sich die Geometrie des Restaurants von ihr und öffnet sich zum See hin“, beschreiben DMAA die Inspiration für dieses einzigartige Design.

Das Restaurant besteht aus 750 m³ geraden Brettschichtholz-Trägern aus Fichte. Das Restaurant und das Teehaus befinden sich direkt neben den Taiyuan Domes, in denen der Botanische Garten verortet ist.

Projektdaten

Standort: Taiyuan City, China
Fertigstellung: 2021
Bauherr: Taiyuan Botanical Garden
Architektur: Delugan Meissl Associated Architects DMAA
Holzbau: StructureCraft
Statik: Bollinger + Grohmann Ingenieure
Bruttogeschossfläche gesamt: 54.600 m²
Grundstücksfläche: 182 ha