Alpenjuwel wird Tiny House

Ein Artikel von Birgit Gruber | 30.05.2023 - 08:06
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© David Schreyer

Jakob Siessl hat vor drei Jahren sein Studium der Architektur in Innsbruck und Graz abgeschlossen. Um sich ein eigenes Standbein aufzubauen, hat der junge Tiroler gemeinsam mit Florian Schüller das Studio Colere gegründet. Auf der Website befinden sich bislang drei Projekte, die allesamt die Liebe zum Holz, der Erhalt alter Bausubstanzen, das Pflegen des traditionellen Handwerkes, Schlichtheit, aber dennoch viel Eleganz verbindet. „Wir beschäftigen uns mit der örtlichen Baukultur. Bei uns soll es nicht nur um Architektur im klassischen Sinne gehen, sondern auch um das Soziale, die Kulturlandschaft, die ein Bauwerk umgibt“, verrät der 30-Jährige im Interview. Passend dazu wurde der Firmenname gewählt, denn „colere“ kommt aus dem Lateinischen (colo, Anm.) und bedeutet so viel wie „bebauen“, „bearbeiten“, aber auch „pflegen“, „veredeln“ und „wahren“. Begriffe, die im Studio hochgehalten werden und sich in ihren Bauaufgaben widerspiegeln. Sie alle stehen bislang im Stubaital, zwei davon in Fulpmes, einem familienfreundlichen, traditionell gewachsenen Ferienort auf 930 m Seehöhe nur 15 Kilometer von der Tiroler Landeshauptstadt entfernt.

Für den Bau eines Einfamilienhauses auf der grünen Wiese sind wir nicht die richtigen Ansprechpartner.

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Architekt Jakob Siessl

Auszeichnung beim Tiroler Holzbaupreis

Der Umbau eines 300 Jahre alten Stadels neben dem Gasthaus Gröbenhof hat dem Planerduo in diesem Jahr nicht nur eine Auszeichnung beim Tiroler Holzbaupreis eingebracht, sondern auch die Öffentlichkeit auf ihr Talent aufmerksam gemacht. So meinte die Holzbaupreis-Jury: „Der von außen fast unauffällige Bestandsbau wurde so gelungen als Haus im Haus weitergebaut, dass er von innen ein echtes Raumwunder ist. […] Dieses Projekt ist ein Kleinod und kann den Weg zeigen, welche Potenziale im Bauen im Bestand und Weiterbauen liegen“.

Handwerker verstanden Vision

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Im Untergeschoß des alten Gebäudes befindet sich jetzt eine kleine Werkstatt. © David Schreyer

Das leer stehende und nur für Lagerzwecke genutzte Nebengebäude des ehemaligen Bauernhofes liegt auf einer südseitig ausgerichteten Terrasse oberhalb des Dorfkerns. Die Hofstelle des Weilers „Gröben“ wurde erstmals im Mittelalter dokumentiert. Das Nebengebäude ist das einzige noch erhaltene historische Fragment, welches die Siedlungsgeschichte des Platzes beschreibt. Ein Alpenjuwel, für dessen Erhalt es sich einzusetzen lohnte: „Florians Eltern, denen das Grundstück und der Hof gehören, wollten den Stadel zunächst abtragen, um ein Gästehaus zu bauen. Ich habe sie auf die Potenziale des historischen Gebäudes aufmerksam gemacht und dass ein Umbau doch viel mehr Sinn machen würde“, erzählt der Architekt. Mit der Planung hat Siessl am Ende seines Studiums begonnen. „Ich habe während meiner Diplomarbeit den Umbau auf der Baustelle koordiniert. Florian und ich konnten viel selbst machen und mit guten Handwerkern zusammenarbeiten, die unsere Ideen und Visionen teilten. Dass sich daraus eine derartige Resonanz ergibt, damit haben wir nicht gerechnet“, freut sich Siessl.

Im Sinne der Tiny-House-Bewegung schwebte dem Architekten und Bauherren-Paar eine minimalistische Neunutzung vor. In den alten Stadel wurde so eine Wohnung mit 45 m2 hineingepasst. Die wesentlichsten Gebäudeteile, wie das historische Bruchsteinmauerwerk, blieben erhalten. Lediglich die morschen Sparren vom Dach mussten ausgetauscht und ein großes Fenster musste in die alte Holzfassade geschnitten werden. Mittels des „Reuse“-Konzepts wurde vieles wiederverwendet. „Dabei standen wir im sichtbaren Dialog mit den  in Würde gealterten Materialien“, ergänzt Siessl.

Für uns ist es wichtig, dass der Zimmerer nicht zum reinen Monteur degradiert. Wir machen Abbund noch per Hand. Unsere Lehrlinge lernen den Umgang mit Holz von der Pike auf.

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Holzbau-Meister Thomas Kößler (links) und Alexander Annabith

Traditionsbetrieb setzt auf Handwerk

Mit der Zimmerei Kößler & Annabith aus Tulfes fanden die Bauherren den richtigen Ansprechpartner für ihr Holzbauvorhaben. Der Familienbetrieb mit zehn Mitarbeitern, der aus einem Sägewerk entspringt und von den Cousins Thomas Kößler und Alexander Annabith über die Jahre aufgebaut wurde, legt viel Wert auf handwerkliches Können. „Für uns ist es wichtig, dass der Zimmerer nicht zum reinen Monteur degradiert. Wir machen Abbund noch per Hand. Unsere Lehrlinge lernen den Umgang mit Holz von der Pike auf“, teilt Thomas Kößler mit. In Fulpmes wurde in die historische Hülle ein Blockbau mit 16 cm starken Blockhausbohlen integriert. Das massive Holz erfüllt alle Dämm- und Brandschutzvorschriften und wirkt als große Speichermasse. „Der neue Dachstuhl und die Zwischendecke über der Werkstatt wurden mit einer Einblasdämmung aus Zellulose gedämmt“, erklärt Kößler. Der Aufbau erfolgte mittels eines Krans über das offene Dach und dauerte zweieinhalb Wochen. „Die Rohware wurde von uns in der Werkstatt vorgefertigt und die Blockbohlen elementiert, sodass das kleine Haus im Haus schnell in die Höhe wachsen konnte“, weiß der Holzbau-Meister. Das Material für den Dachstuhl hat Kößler aus dem eigenen Sägewerk bezogen.

Kein Umbau im „Jodlerstil“

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© David Schreyer

Auf Schmuck und zusätzliche Fassadendetails wurde bewusst verzichtet, um sich von den wenig authentischen „Jodler-Umbauten“ in der Region klar abzugrenzen. Dieser Begriff wurde bereits in den 1980er-Jahren vom deutschen Dokumentarfilmer und Autor Dieter Wieland geprägt. Wieland, 1937 in Berlin geboren, setzte sich als einer der ersten Fernsehjournalisten für den Denkmalschutz und für den Erhalt gewachsener Kulturlandschaften ein (siehe Video). Wieland mahnt darin vor „dem ewigen Misstrauen in das Einfache“ und erklärt, dass weniger einfach mehr ist. In diesem Sinne bewiesen auch Siessl und Schüller beim Stadelumbau Fingerspitzengefühl. Nichtsdestotrotz kann dieser als Anregung zu innovativen, neuen Wohnideen im noch immer konservativen ländlichen Raum gesehen werden.

Intelligente, offene Raumaufteilung

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© David Schreyer

Gewohnt und gearbeitet wird im Obergeschoß. Dort befinden sich ein kleines Büro, ein Wohn- und Essbereich mit Küche sowie ein Schlafzimmer. Das Bad erreicht man geradeaus über die Treppe. Es kann als einziger Raum mit einer Türe abgeschlossen werden. Die restliche Raumaufteilung ist sehr offen gehalten. Im Untergeschoß sind eine kleine Werkstatt und ein Wirtschaftsraum mit Lagerräumen für das Gasthaus nebenan situiert. Den Innenausbau hat das Bauherren-Paar selbst übernommen. „Unbehandelte Holzoberflächen an den Wänden aus Weißtanne, den Fenstern und Böden, der Lehmputz für ein angenehmes Raumklima, ein komplett in Schwarz gehaltenes Badezimmer und unterschiedliche Höhensprünge verleihen dem kompakten Innenraum große Dimension. Dadurch ergibt sich eine hohe Detailqualität und hoher Anspruch an handwerklich gelungenen Lösungen“, erklärt Siessl.

Keine Frage des Preises

Auf die Frage, ob der Umbau eines historischen Gebäudes für Bauherren nicht zu unkalkulierbaren Kosten führen kann, hat der Architekt eine klare Antwort. Für Siessl ist die Adaption eines Bestands mit Sicherheit kostengünstiger. Gleichzeitig warnt er vor unnötigen Preisfallen: „Der Umbau muss gut geplant sein. Man darf auch nicht mit Gewalt Dinge implantieren, die in alten Gemäuern nicht funktionieren. Das betrifft vor allem die Materialität. Die zukünftigen Bewohner und ihre Planer sollten dabei schlicht und reduziert vorgehen und auf viel Schnickschnack verzichten.“

Die Zukunft seines Büros sieht er beim Bauen im Bestand. „Für den Bau eines Einfamilienhauses auf der grünen Wiese sind wir nicht die richtigen Ansprechpartner“, so Siessl und Schüller deutlich. Holz werde man immer dort verwenden, wo es Sinn macht. Neue Umbauprojekte mit dem natürlichen Baustoff sind auch schon in der Pipeline. Der 30-Jährige ist in Tirol mittlerweile auch gut vernetzt. „Ich freue mich über jeden guten Zimmerer, der mit uns zusammenarbeiten will“, ergänzt der Architekt. 

Projektdaten

Standort: Fulpmes
Bauherrn: Familie Schüller
Fertigstellung: 2021
Architektur: Studio Colere Jakob Siessl und Florian Schüller
Holzbau: Zimmerei Kößler & Annabith
Holzmenge: 38  m3
Nutzfläche: 45 m2
Systemlieferant: Sägewerk Kößler und Weinberger-Holz
Holzarten: Fichte und Lärche