Mit dem Holzbau durch die Tiefgarage

Ein Artikel von Raphael Zeman | 13.04.2022 - 15:28
Mars_8_CharlyBroyez.jpg

© Charly Broyez

2012 beauftrage das Immobilienunternehmen GECINA das Planungsbüro Mars Architectes, seine Pariser Liegenschaften auf Möglichkeiten der Nachverdichtung zu untersuchen. Im Innenhof einer Blockrandbebauung im 12. Arrondissement (Bezirk) wurden die Architekten fündig und errichteten einen Viergeschosser mit insgesamt 14 Wohnungen.

Paradebeispiel für Nachverdichtung in Holz

Dass man den neuen Wohnbau in Holz errichtete, ist nicht allein der Nachhaltigkeit des CO2-speichernden Baumaterials geschuldet, sondern auch dem städtebaulichen Kontext. Denn der Bauplatz liegt im Inneren einer Blockrandbebauung, auf der Rückseite eines Elfgeschossers. Aus diesem Grund war es nicht möglich, einen herkömmlichen Baukran aufzustellen – zudem sollten die Bewohner der Bestandsgebäude in ihrem Alltag möglichst wenig gestört werden. Wie also bauen, wenn nicht in Holz? Denn einerseits ermöglicht das Material aufgrund der trockenen Bauweise eine vergleichsweise leise und saubere Baustelle und andererseits kann es in Einzelteilen geliefert und vor Ort zusammengesetzt werden. Zweiteres war wohl das überzeugendste Kriterium für die Wahl der Holzbauweise, denn die Baustellenzufahrt wurde über die bestehende Tiefgarage eingerichtet, in deren Decke ein Loch geschlagen wurde, um den Innenhof zu erreichen. Dieses 3,5 mal 2,3 Meter große Loch gab auch die maximalen Dimensionen der Bauteile vor. Zu guter Letzt eignete sich Holz aufgrund seines geringen Gewichts ideal für die Errichtung auf der bestehenden Tiefgarage. So wurde der Holzskelettbau mit vorgefertigten BSP- und BSH-Elementen aus Fichte, Holz-Beton-Verbunddecken und einer Fassadenschalung aus Douglasie in nur sechs Wochen vor Ort aufgerichtet.

Eine Abfolge von Überraschungen

Mars_6_CharlyBroyez.jpg

© Charly Broyez

Wenn man nun also von der belebten Avenue de Saint-Mandé – in der sich treffenderweise auch der Hauptsitz der nationalen Forstbehörde (das französische Pendant zu den Österreichischen Bundesforsten) befindet – durch den bestehenden elfgeschossigen Wohnbau in den Hof tritt, erwartet einen die erste Überraschung. Eine verspielte Landschaftsarchitektur mit vielen organischen Formen, bepflanzt mit Farnen, Bodendeckern und Jungbäumen, trifft auf einen in seiner Architektursprache streng anmutenden Holzbau. Dieser erinnert dank seiner umlaufenden, leicht auskragenden und auf schmalen Stützen lagernden Balkone – die zugleich als konstruktiver Holzschutz dienen – an einen japanischen Tempel. Ein weißer Anstrich dient ebenfalls als Holzschutz, verstärkt die Rhythmik zusätzlich und gibt gleichzeitig einen Hinweis auf das Innenleben des „Tempels“. Denn zehn der insgesamt 14 Wohnungen werden vom Innenhof des Holzbaus aus betreten, der im krassen Kontrast zum „äußeren“ Hof ganz in Weiß gehalten ist und steril wirkt. Über eine Stiege und Laubengänge gelangt man zu den Obergeschossen.

Intelligent und simpel geplant

Bis auf drei Wohnungen im Erdgeschoss sind alle Wohneinheiten in der Ost-West-Achse durchgesteckt. Das ermöglicht nicht nur einen optimalen Tageslichteinfall, sondern auch eine natürliche Ventilation. Während die Bäder und Küchen – und somit ein einzelnes Technikband – auf der Seite des weißen Innenhofs liegen, blicken alle Wohn- und Schlafzimmer in den begrünten Hof. Die raumhohen Verglasungen können hier entweder mit Schiebeelementen geschlossen oder geöffnet werden, um auf die umlaufenden Balkone zu gelangen. Stichwort Schiebeelement: Bei den Zweizimmerwohnungen wurden in den Zimmertrennwänden Schiebetüren verbaut, um den Bewohnern möglichst große Flexibilität zu gewährleisten. Im zweiten Obergeschoss sind schlussendlich vier Maisonettewohnung gelegen, die sich bis unter das Dach erstrecken. Alle Wohnräume greifen das Farbenspiel der Hülle auf: die Wände sind weiß, die Decken beziehungsweise Böden holzsichtig.

Schablone für zukünftige Projekte?

Mars_2_CharlyBroyez.jpg

© Charly Broyez

„Technische Innovation betrifft nicht nur die Materialwahl, sondern muss Teil der Logik sein. Während es einerseits essenziell ist, mit regionalen, biobasierten Ressourcen zu arbeiten – die zudem Arbeitsplätze schaffen, die nicht umgesiedelt werden können –, ist es gleichzeitig unumgänglich, auf Details wie Verbindungen, Rhythmus, Proportionen oder die eingesetzten Holzarten zu achten, um einen Modus der Konstruktion zu schaffen, der auch ästhetisch ist“, schreiben die Architekten. So sei die äußere Erscheinung ein Produkt ebendieser Einflussfaktoren: die Anordnung der Fensteröffnungen, die Vorgaben durch die Konstruktionsweise bzw. das -material, der Holzschutz in Form eines weißen Anstrichs und der überhängenden, umlaufenden Balkone.

Als Herausforderung empfand man einerseits die Schaffung eines fließenden Übergangs vom städtischen Raum in das intime, private Zuhause und andererseits den Anspruch, in Sachen Licht, Atmosphäre sowie Material Qualität zu bieten und gleichzeitig bei Konstruktion und Energieverbrauch des Gebäudes Bescheidenheit an den Tag zu legen. Die offene Galerie habe es dabei ermöglicht, die durchgesteckten Wohnungen systematisch zu planen – eine „intrinsische Qualität, die eine Erweiterung des Raums, das Weglassen von Gängen sowie eine einfache, natürliche Lüftung ermöglicht“. Das Projekt hat den Standort komplett erneuert und bietet nun laut Mars Architectes eine Schablone für nachhaltige Stadterweiterung.

Projektdaten

Standort: Paris
Bauherr: GECINA
Fertigstellung: 2020
Architektur: Mars Architectes
Ausführende Firmen: Brézillon, Bouygues Construction
Holzbaustatik: Sylva Conseil
Wohnfläche: 716 m2