Mit einem Schleier aus Weißtanne

Ein Artikel von Birgit Gruber | 07.06.2022 - 07:46

In der Villenkolonie in Berlins Südwesten wohnt man elegant und trotzdem bescheiden. Der Stadtteil hat seinen Namen dem Nikolassee zu verdanken. Das Strandbad Wannsee – Europas größte Freibadfläche – macht den Ortsteil zu einem beliebten Ausflugsziel, wo sich das Leben rund ums Wasser abspielt. Einen erheblichen Teil von Nikolassee macht zudem das Waldgebiet Grunewald aus, der ganze 60 % des Stadtteils einnimmt. Für gut betuchte Berliner ist es der beliebteste Vorstadtort, um das naturnahe, idyllische Leben fernab des hektischen Stadtlebens zu genießen. Die Grundstücks- und Immobilienpreise sind dementsprechend hoch. Imposante Gründerzeitvillen und großzügige Einfamilienhäuser prägen dort das Stadtbild.

Ein weiteres Schmuckstück sollte auf einem 520 m2 großen Grundstück in einer ruhigen Wohnstraße nördlich der Potsdamer Chaussee entstehen. Den Planungsauftrag dafür erhielt im Mai 2018 das ortsansässige Büro von rundzwei Architekten. Im November 2020 wurde die 350 m2 große Holzbauvilla, bei der Nachhaltigkeit im Zentrum des Entwurfs stand, fertiggestellt. Für rundzwei stehen „Research“ und „Design“ als zwei zentrale Parameter für ein fundiert nachhaltiges und modernes Architekturverständnis, bei dem Raum, Materialität, Ressourcen, lokale Geschichte und natürliche Umgebung mit anspruchsvollem Design verbunden werden. Der Name leitet sich zudem von den zwei Gründern Andreas Reeg und Marc Dufour-Feronce ab (R und D).

Baukörper reicht bis an die Grundstücksgrenze

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© Gui Rebelo / rundzwei Architekten

„Im Gegensatz zu den Häusern der direkten Nachbarschaft ist der Baukörper mit seinem nahezu quadratischen Grundriss (10 x 10 m) relativ nah an die Straße gerückt und von dieser nur durch einen 6 m breiten Vorgarten getrennt. Dadurch konnten wir eine möglichst große Gartenfläche hinter dem Haus erhalten“, erklären die Architekten. Die aus dem Baukörper weitergeführten Dachflächen – links über der Terrasse am Hauseingang und rechts über Carport und Fahrradstellplätzen – vergrößern die wetterunabhängig nutzbare Fläche des Einfamilienhauses elegant. „Dank ihnen wird das kompakte Grundstück optimal genutzt. Die baurechtlich geforderten Abstände werden eingehalten, obwohl zum Beispiel die Carportpergola über den Fahrradstellplätzen bis an die östliche Grundstückgrenze reicht“, so das Planerteam.

Materialwahl im Sinne der Kreislaufwirtschaft

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© Gui Rebelo / rundzwei Architekten

Bis auf die Beton-Kelleraußenwände ist das Gebäude als reiner Holzbau ausgeführt. Die Innenwände (auch im Keller) sind tragende Vollholzwände, die Außenwände wurden mit vorgefertigten Elementen in Holztafelbauweise realisiert. Alle Decken inklusive der Kellerdecke sind aus Holz. Als Dämmmaterial kam Holzwolle zum Einsatz. Zudem sind die Innenwände mit Gipsfaserplatten und einem Kalkputz versehen, was zu einer natürlichen Klimatisierung der Innenräume beiträgt. „Nachhaltigkeit stand bei diesem Projekt im Zentrum der Planung. Um ein späteres Recycling der Bauteile im Sinne einer Kreislaufwirtschaft zu ermöglichen, setzten wir auf rein mechanische Verbindungen. Auf geklebte Anschlüsse konnten wir weitestgehend verzichten. Auch das Blechdach unter der Dachhaut aus Holzlatten ist auf eine Wiederverwertung ausgelegt“, erklären Reeg und Dufour-Feronce das Wiederverwertungsprinzip der Holzbauvilla.

Gebäudehülle als Schutz und Filter

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© Gui Rebelo / rundzwei Architekten

Sofort ins Auge sticht das Einfamilienhaus dank seiner einheitlichen Dachfläche und Fassade. Beides ist auf allen vier Seiten mit einer feingliedrigen, hellen Holzlattung aus Weißtanne überzogen. Mit Ausnahme einiger gezielt platzierter Fenster und Öffnungen ergibt sich dadurch für den gesamten Baukörper eine homogene Gebäudehülle. Die Verlängerung der Dachflächen als Pergola findet entlang der beiden Traufseiten statt. Der filigrane Mantel formt den Bau zu einer architektonischen Einheit. rundzwei Architekten zu Konzept und Idee: „Der Vorschlag beruht auf der Untersuchung zweier getrennter Elemente. Das Erste ist die innere Räumlichkeit, die über unterschiedliche Ebenen komplexe und spannende Situationen schafft. Das Zweite ist die Hülle des Hauses, die dem Projekt Einheit gibt, indem Holz als alles umgebendes Material verwendet wird. Durch die Verwendung von Zwischenräumen gelingt es dieser Hülle, die Form des Gebäudes auf nachhaltige Weise zu verwischen. Diese Komposition hat die Absicht, als Filter für Zugang, Sicht- und Sonnenschutz zu dienen.“ Die Holzleisten auf Dach und Fassade wurden, anders als üblich, mit großen Abständen montiert, um den seitlichen Pergolen, dahinterliegenden Fenstern und Balkonen Durchblicke und Lichteinfall zu ermöglichen. Es entstehen so spannende Zwischenräume, die sich im Spiel von Innen und Außen bewegen. „Das Gebäude scheint in eine Art Holzschleier eingehüllt zu sein. Die helle Farbe der Weißtanne und die besondere Montageweise ermöglichen das Gefühl von Leichtigkeit. Das Material versteckt und kaschiert, während es gleichzeitig Ein- und Durchblicke ermöglicht.“

„L“-Form als horizontales und vertikales Prinzip

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© Gui Rebelo / rundzwei Architekten

Alle funktionalen Zonen des Hauses, wie Wohnen, Essen und Kochen, werden durch ein vertikales und horizontales „L-Prinzip“ klar architektonisch definiert: Während der Wohnbereich eher intim, leicht zurückgezogen ausgeprägt ist und der Kochbereich sich zu Vorgarten und Straße hin öffnet, wird das Esszimmer zum kommunikativen Herzstück der Villa. Der Eingang befindet sich entlang der Westseite und ist über die schmale Terrasse zugänglich. Dieser Bereich bietet auf kleiner Fläche – neben dem Zugang zu Wohnräumen im Erd- und Obergeschoss sowie zum Arbeitszimmer – durchdachte Funktionen wie eine lang gezogene Sitzbank und dezent versteckten Stauraum für Schuhe und Garderobe. Im Erdgeschoss sind die Flächen für Wohnen, Essen und Kochen in L-Form um einen kompakten Kern (Arbeitszimmer, Gäste-WC, Treppen und Abstellflächen) angelegt. „Dieses horizontale ,L’ verbindet in seinem Scheitelpunkt durch großflächig verglaste Fensterflächen den Innen- mit dem Außenraum. Die über Eck öffenbaren Terrassentüren erweitern das Haus in den Garten“, beschreiben die Planer das durchdachte Prinzip. Ein vertikales „L“ bildet sich über dem Essbereich – dort erstreckt sich der offene Raum bis unter das Steildach. Darüber befinden sich zwei Galerieebenen, die über eine extravagante, weiße Stahltreppe verbunden sind, die fast zu schweben scheint und diesen luftigen Charakter noch unterstreicht. In der ersten Etage grenzen Schlafräume samt großem Bad an den Luftraum. Die zwei Kinderzimmer orientieren sich zur Straße, das Elternschlafzimmer zum Garten hin. Ein lang gestrecktes Sitzfenster lädt dort zum Entspannen ein.

Erholung oben, Sport und Wellness ganz unten

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© Gui Rebelo / rundzwei Architekten

„Unter dem Dach wollten wir Rückzugsräume schaffen, die der Ruhe und Erholung dienen. Dort kann eine offene Galerie mit Kamin als gemütlicher Aufenthaltsraum genutzt werden. Sie wird von großen Dachflächenfenstern sowie über die Dachterrasse auf der Westseite des Hauses intensiv mit Tageslicht geflutet“, beschreiben die Architekten das oberste Geschoss der Holzbauvilla. Ein von der Galeriefläche abgetrennter, verglaster Raum kann als Gästezimmer oder zusätzlicher Wohnraum genutzt werden.

Das Untergeschoss mit Wellnessbereich, Haustechnik und Abstellflächen wird über den Eingangsbereich erschlossen. Zwei Schächte auf der Straßen- sowie Gartenseite des Hauses belichten den langgestreckten Indoorpool und die angrenzenden Liege- und Fitnessbereiche. So entsteht ein hochwertiger privater Raum für Sport und Erholung. Die beigebraunen Natursteinböden und grauen Mineralputzwände des Untergeschosses sind in der Architektursprache des Holzbaus als klarer Kontrast zum hellen Weiß der Wände, Decken und der Stahltreppe im Erd- und den Obergeschossen zu verstehen. Boden- und Treppenbeläge, aber auch die Sitzfenster oder die Einbauten in Flur und Küche, sind dagegen wieder aus naturbelassenem Eichenholz.

Projektdaten

Standort: Berlin-Nikolassee
Bauherr: privat
Planungsbeginn: Mai 2018
Fertigstellung: November 2020
Architektur: rundzwei Architekten BDA
Tragwerksplanung: ZRS Ingenieure
Holzbau: Holzbau MOSER KG
Holzfassade: Theo‘s Handwerk, Berlin
Bruttogeschossfläche: 400 m2
Nutzfläche: 350 m2