Giebelkontur ins Heute übersetzt

Ein Artikel von Kathrin Lanz | 12.12.2022 - 08:23
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© Volker Wortmeyer

Die Wohnhausanlage in der Friedrich-Inhauser-Straße wurde in den 1980er-Jahren erbaut, weshalb der energetische Zustand dem Baujahr entsprechend schlecht war. Fehlende Barrierefreiheit, schlechte Belichtung und dringender Sanierungsbedarf bei Balkonen, Dächern und bei der Feuchteisolierung machten eine Sanierung notwendig. „Ziel der umfassenden Sanierung war es, den CO2-Ausstoß der Wohnanlage zu reduzieren: Ein Energiekonzept mit Abluftwärmepumpe und Wärmerückgewinnung aus Abwasser, eine Reduzierung der Pkw-Nutzung durch ein gezieltes Mobilitätskonzept sowie der Einsatz ökologischer Baustoffe tragen dazu bei“, sagt Stephan Gröger, Direktor der Heimat Österreich. Die Genossenschaft tritt als Bauträger auf. Die drei- bis viergeschossigen Gebäude wurde generalsaniert und um zwei Stockwerke erweitert. Durch die Aufstockung von 75 auf 99 Wohnungen sind zusätzlich 24 geförderte Wohnungen, großteils mit eingeschnittenen Loggien, entstanden. Besonderes Augenmerk wurde auch auf die Freiraumgestaltung der Siedlung gelegt. Neben Gärten gibt es einen großzügigen Spielplatz und neues Sitzmobiliar.

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Die neue Anlage im Querschnitt. © Christoph Scheithauer

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Neben Gärten gibt es Flächen für Gemeinschaftsaktivitäten und neues Sitzmobiliar im Freien. © Volker Wortmeyer

Der schlechte Zustand der alten Wohnungen machte es notwendig, die Bewohner der Siedlung für die Zeit der Sanierung in andere Wohnungen umzuquartieren. Die Holzbauarbeiten führte Ebster Holzbau aus Henndorf in Salzburg durch. Es handelt sich um eine Massivholzkonstruktion mit Stahlbetonzwischendecken. Teilweise werden die Massivholzwände durch eine Holzriegelkonstruktion unterbrochen. Innen wurden die Wände aus Brandschutzgründen mit Gipskartonplatten verkleidet. Bei der Fassade handelt es sich um eine offene, vorvergraute Fichtenschalung. Für die Architektur ist cs-architektur in Zusammenarbeit mit mit dem Architekten Stijn Nagels verantwortlich. „Wir mussten nur an drei, vier Stellen das Mauerwerk initiieren, ansonsten kamen wir mit den Lasten wunderbar zurecht“, erklärt Christoph Scheithauer die Vorteile der Leichtbauweise im Segment Verdichtung. Die doppelgeschossige Aufstockung ist an zwei Stellen durch Eingeschossigkeit unterbrochen. „Dadurch bringen wir Luft in den Innenhof, damit man nicht vollumfänglich von der Fünfgeschossigkeit umschlungen ist.“ Zwei der Einschnitte ergeben Gemeinschaftsterrassen, die zunehmend gestaltet werden.

Grau- und Schwarzwasser entwärmt

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Energievorbild: Die Anlage macht vor, was im Bereich Wärmerückgewinnung und Solarenergie alles möglich ist. © Volker Wortmeyer

Einzigartig in der Kombination aus gefördertem Wohnbau und Nachverdichtung ist das moderne Wärmerückgewinnungssystem. Abwärme aus der Raumluft und dem Abwasser werden zur Deckung des Wärmebedarfs genutzt. Damit die wertvolle Energie aus der „verbrauchten“ Raumabluft aller Mietwohnungen ganzjährig genutzt werden kann, wurde für jedes Gebäude ein zentraler Abluftventilator mit Kühlregister zur Wärmerückgewinnung installiert. Bei der Abwasser-Wärmerückgewinnung ist keine getrennte Abwasserinstallation für Grau- und Schwarzwasser (fäkalhaltiges Abwasser) notwendig, sondern das gesamte häusliche Abwasser wird in einem permanenten ökologischen Kreislauf zentral gesammelt, gefiltert, „entwärmt“ und entsorgt. Die wissenschaftliche Begleitung des Projekts erfolgte durch die Fachhochschule Salzburg, der Abteilung smart building, unter der Leitung von Dr. Markus Leeb.

Enormes Energiepotenzial

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Auch der Strom wird zum Teil direkt am Standort erzeugt. Bis zu 20 % des Gesamtstrombedarfs werden über die Photovoltaik-Anlage am Dach zugeführt. © Volker Wortmeyer

Langzeitmessungen zeigen, dass die mittlere jährliche Abwassertemperatur im kommunalen Wohnbau zirka 18 bis 23 Grad beträgt, was ein enormes Energiepotenzial darstellt. In der Friedrich-Inhauser-Straße fallen täglich rund 30.000 Liter an thermisch hochwertigem Abwasser an. Dieses wird über einen speziellen Plattenwärmetauscher im Abwassersammelschacht und einer Sole-Wasser-Wärmepumpe auf ungefähr 5 Grad „entwärmt“ und in die öffentliche Kanalisation abgeleitet. Dieser sehr einfache und vollökologische Prozess wiederholt sich täglich und wurde mit den zuständigen Behörden abgestimmt und ohne Einschränkungen bewilligt. Die Energieversorgungsanlage wird über ein permanentes Online-Monitoring überwacht, optimiert und entsprechend dokumentiert. Die Energieversorgungsanlage ist seit Mitte Dezember 2021 in Betrieb. „Auf Basis der Anlagensimulation und der bisherigen Erkenntnisse aus dem laufenden Online-Monitoring zeichnen sich bereits hervorragende Endenergie-Deckungsraten ab. Die Umstellung der Heizenergieversorgung von fossilem Erdgas auf ein CO2-neutrales Energiesystem bringt eine jährliche CO2-Einsparung von rund 110 Tonnen“, ist in der Wohnanlagen-Broschüre zu lesen.

Man spürt, dass das Konzept für die Bewohner passt, wenn man die Anlage betritt.


Architekt Christoph Scheithauer

„Mobility Point“ im geförderten Wohnbau

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Architekt Christoph Scheithauer © Christoph Scheithauer

Auch der Strom wird zum Teil direkt am Standort erzeugt. Bis zu 20 % des Gesamtstrombedarfs werden über die Photovoltaik-Anlage am Dach zugeführt. Zu diesem Konzept passend wird erstmalig in der Stadt Salzburg ein sogenannter „Mobility Point“ umgesetzt, bei dem vielfältige E-Sharing-Angebote, wie E-Autos, E-Fahrräder oder Lastenräder, genutzt werden können. Man hat gezielt nach Bewohnern gesucht, die sich mit diesen Angeboten identifizieren. Die sich ein Auto teilen, die Lastenräder nutzen wollen. „Man spürt, dass das Konzept für die Bewohner passt, wenn man die Anlage betritt“, beschreibt Scheithauer die derzeitigen Mieter.

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Holzbau in der Stadt: Das geringe Eigengewicht von Holz ist einer der Vorteile bei Aufstockungen. © Volker Wortmeyer

Die monatlichen Mietkosten für Bewohner liegen etwa 8 €/m2 unter den Angeboten am freien Markt. Die Stadt Salzburg hat ein Vergaberecht für alle Wohnungen, eine Vergabe nach sozialen Kriterien ist somit sichergestellt. In der Miete inkludiert sind neben den Betriebskosten auch die Nutzung des „Mobility Point“. Die Mietpreise wurden auch durch die Vergabe eines Baurechts der Stadt Salzburg an den Bauträger ermöglicht. Die Planung der Gebäude erreichte 929 von 1000 möglichen Punkten und entspricht damit dem Goldstandard für nachhaltige Wohn- und Dienstleistungsgebäude von klimaaktiv. „Mit dem Projekt ‚Friedrich-Inhauser-Straße‘ haben wir erneut einen Meilenstein im Bereich nachhaltiges und ökologisches Bauen gesetzt. Und das wird sicherlich nicht der letzte sein, denn wir werden diesen Weg konsequent weitergehen“, sagt Gröger in Hinblick auf Folgeprojekte.

Projektdaten

Standort: Salzburg
Fertigstellung: Dezember 2021
Architektur: cs-architektur, Archikekt Stijn Nagels
Tragwerksplanung: Marius Ziviltechniker
Haustechnik: TB Stampfer
Holzbau: Ebster Holzbau
Holzmenge: 500 m3